Die Esoterik-Ecke: Wenn der Verstand Urlaub macht
Manchmal landet man in Diskussionen, die so weit weg von jeglicher Logik sind, dass man sich fragt, ob man gerade in einer schlecht geschriebenen Parodie gelandet ist. Willkommen in der Welt der verträumten Diskussionsrunden, wo die Grenzen zwischen Wunschdenken und Realität völlig aufgehoben sind. Ein Ort, an dem jeder ein Medium ist, die geistige Welt anscheinend festen Sendeplan hat, und gesunder Menschenverstand längst auf der Strecke geblieben ist.
Ein kleiner Junge klopft aus dem Jenseits an?
Die Szene beginnt mit einer Person, die behauptet, seit dem tragischen Vorfall von Magdeburg die Stimme eines verstorbenen Kindes zu hören. Die Frage: Soll ich mit ihm reden? Ein normal denkender Mensch würde an dieser Stelle vielleicht innehalten, die Aussage hinterfragen oder wenigstens kurz an sich zweifeln. Aber nicht hier! Hier wird die Gelegenheit genutzt, die eigene esoterische „Gabe“ zur Schau zu stellen.
Statt nüchterner Überlegungen folgen haarsträubende Ratschläge. Manche sprechen davon, dass man den Kontakt „annehmen“ sollte, weil die geistige Welt „weiß, was sie tut“. Andere warnen vor ethischen Grenzen, nur um am Ende zu raten, sich alles penibel aufzuschreiben, falls man später doch mal die Eltern des Kindes konfrontieren möchte. Weil trauernde Eltern nichts lieber hören wollen als: „Ich habe hier eine Botschaft aus dem Jenseits. Kann das jemand bestätigen?“
Wenn der Wahnsinn Flügel bekommt
Die Diskussion eskaliert erwartungsgemäß schnell. Da gibt es den Vorschlag, einfach zuzuhören, „weil es wie ein Kind auf der Straße ist, das Hilfe braucht“. Süß, oder? Wäre da nicht die Tatsache, dass es kein lebendiges Kind ist und die ganze Geschichte auf einer unbewiesenen Annahme basiert.
Dann die Krönung: „Vielleicht weiß der Junge gar nicht, dass er tot ist.“ Ah ja. Das Jenseits hat also ein Empfangsproblem? Wo sind die Einweisungsvideos für frisch Verstorbene? Oder wurde das Licht am Ende des Tunnels gerade gewartet?
Und mein persönliches Highlight: „Es hat einen Grund, warum er dich ausgewählt hat.“ Genau. Das Universum ist offenbar mit einem kosmischen Algorithmus ausgestattet, der entscheidet, wer „empfänglich“ ist. Vielleicht sollte man demnächst die Datenschutzerklärung des Jenseits lesen, bevor man noch unerwünschte Seelenkontakte bekommt.
Der Heldentum-Komplex
Was in diesen Diskussionen so faszinierend ist, ist die Selbstinszenierung. Plötzlich fühlt sich jeder als Hauptfigur in einem himmlischen Drama, als Retter der armen, verlorenen Seelen. Doch was bleibt davon wirklich übrig? Ein Haufen absurder Behauptungen, viel Geschwafel und null Verantwortung für die Auswirkungen auf andere.
Es wirkt, als gäbe es in solchen Runden eine inoffizielle Hierarchie: Je abstruser die Behauptung, desto höher das Ansehen. Und wehe, jemand hinterfragt diese Aussagen – das könnte ja das fragile Kartenhaus der „Gaben“ zum Einsturz bringen.
Gefährlich, nicht nur lächerlich
Was als skurrile Unterhaltung beginnt, hat leider eine ernsthafte Seite. Denn solche „spirituellen Ratschläge“ sind nicht nur lächerlich, sondern können auch enorm schädlich sein. Menschen, die gerade trauern oder verzweifelt nach Antworten suchen, geraten in eine Spirale aus Unsinn, die ihnen nicht nur keine Hilfe bietet, sondern sie noch weiter verwirren oder emotional belasten kann.
Und dann ist da noch die Frage nach ethischen Grenzen. Sollte man wirklich Botschaften übermitteln, die auf nichts als der eigenen Fantasie beruhen? Sollte man Trauernden ungefragt in ihre Verarbeitung hineinplatzen, nur um sich selbst als Medium zu profilieren? Die Antwort ist ein klares Nein – doch in diesen Kreisen scheint das niemanden zu interessieren.
Fazit: Ein bisschen Realität, bitte!
Diese Diskussionen zeigen vor allem eines: Die grenzenlose Fantasie der Menschen, wenn es darum geht, sich selbst eine Bühne zu bauen. Doch die Realität ist kein Jenseits-Theater, und Trauer ist kein Spielplatz für spirituelle Ego-Trips.
Wenn du wirklich helfen willst, dann fang bei dir selbst an: Frage, warum du unbedingt Teil einer Geschichte sein willst, die nicht deine ist. Und für alle anderen gilt: Nicht jedes Gefühl oder jede Stimme im Kopf ist ein Kontakt aus dem Jenseits. Manchmal ist es einfach nur der Verstand, der dringend mal wieder Urlaub braucht.



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